Mittwoch, 18. Januar 2006

Krimi!

Und wie oft kommt es vor, dass man sich in einem genialen Krimi wiederfindet, den man selbst besser nicht haette schreiben koennen? Gestern war so ein Tag. (Nachtrag: ob der Laenge hatte ich gestern schon angefangen zu schreiben, mittlerweile hat das alles also vorgestern stattgefunden).

Der Kuerze wegen in Telegrammform. Wer dies als Vorlage fuer einen Hollywoodstreifen verwenden will, der sei gewarnt: FINGER WEG! Das ist meine Geschichte.

Montag, 23.30 Uhr:Dan und ich verlassen das Backpacker am Ende der Strasse Richtung eigener Behausung. Mir faellt nicht auf, dass meine Tasche nicht um meinen Hals haengt.

Dienstag, 08.30 Uhr:Ich bemerke, dass die Tasche nicht da ist. Also n kleinen Morgensprint zum Backpacker. Alles leergeraeumt, Tasche nicht da. Erkundungen bei der Rezeption erfolglos. Rueckfrage bei Dan auf der Arbeit.

8.45-12.00: Gespraeche mit Backpackern. Keiner hat die Tasche gesehen. Panikgefuehle werden in Unmengen Kaffee ertraenkt. Was ist denn in der Tasche? Alles. Mein ganzes Leben. Pass, Kreditkarte, Digicam, Bargeld, Fuehrerschein. Mein gesamtes Ich.

12.00-13.00: Kleiner Mittagsschlaf. Nervenberuhigung.

ca. 13.30: Zurueck im Backpacker. Worstcase-Szenarios werden ausgebruetet. Wie lange dauert es, ohne jeglichen Identitaetsbeweis einen Ausreisedokument zu bekommen? Kreditkarte schon leergeraeumt?

14.10: Auch die letzte Person, die ich am Tag davor gesehen hab, ist ausgequetscht. Das Maedel an der Rezeption raet mir, zur Polizei zu gehen und meine Kreditkarte sperren zu lassen.

14.45: Ich bin auf dem Weg zur Polizei. Und rufe mit meinen letzten drei Dollar Handyguthaben eine Servicenummer in Frankfurt an - Deutsche Bank in Sydney ist zu sehr mit Grosskunden beschaeftigt. Ich bin sauer, wuetend, enttaeuscht und den Traenen nahe.

14.46: Ich telefoniere mit einem Sprachcomputer. Deutsche Bank, jetzt bin ich mal ehrlich: Ihr koennt mich mal! Ich will weder meine Aktien von A nach B schieben, noch mich in irgendwelche Termingeschaefte in Suedamerika einmischen. "Bitte nennen Sie Ihre dreistellige Filialnummer!" Bitte? Woher soll ich die wissen? Und weil ich mittlerweile auf dreihundertsechzig bin, schreie ich "F#@$ off!" - Der Sprachcomputer will mich aergern. "Dies ist eine inkorrekte Eingabe."

14.54: Polizei Surry Hills. Die unfaehigste Person, die je gesehen hab. Armes Hemd. Ich hab kein Geld, vielleicht noch dreissig Cent. Ich will meine Kreditkarte sperren. Und ich will nicht hoeren: "Are you intoxicated?" Sie ruft fuer mich die deutsche Botschaft an, kommt dann mit haengendem Gesicht wieder und meint: "Da wurde nichts abgegeben." Hae? Aber klar, wenn ich eine Tasche klaue, diese durchsuche, einen deutschen Pass finde, dann laufe ich ja eigentlich zum deutschen Konsulat. Dass ich da nicht frueher drauf gekommen bin.

15.20.: Die Frau macht mich wahnsinnig. Nach fast einer halben Stunde kapiert sie endlich, was ich will: Karte(n) sperren lassen!
"Ja, dann muessen Sie da und da anrufen."
"Scherzkeks, ohne Geld?"
"Dann fahren Sie zum Konsulat."
"Ist geschlossen."
"Ja, aber bestimmt nicht fuer Sie."
Oh, ehrt mich! "Doch auch fuer mich."
"Aber nicht in Notfaellen."
"Das ist eine konsularische Vertretung, die sperren von deutschen Steuergeldern keine Kreditkarten fuer mich."
"Aber dort kriegen Sie einen neuen Pass."
HILFE! "Und, wie soll ich da hinkommen?"
"Da faehrt ein Bus hin."
Danke, war schon n paar mal da. "Und wovon soll ich den bezahlen?"

15.35: Gut, manche Menschen brauchen etwas laenger. Nach ner dreiviertel Stunde stellt sie mir ein Telefon zu Verfuegung. Dass ich Anzeige erstatten will, das hat sie noch gar nicht aufm Zettel. Ich telefoniere mit der Notfallbesetzung im Konsulat. Die Dame dort ist total suess. Aber helfen kann sie mir leider nur mit den Ausweisdokumenten. Kreditkarte ist ja Privatsache.

15.45: Ich telefoniere mit einer Visa-Hotline in Indien. Die Tussi sagt so oft Danke und Bitte, dass ich sie erschiessen will. Ich hab ja auch keinerlei Daten. Und noch immer nicht meine Deutsche Bank Fillialnummer aus der Grindelallee.

16.25: Die Karte ist gesperrt. Verspricht man mir. Die unfaehige Person, die wohl offensichtlich, manchmal vielleicht, ordentlich fuer die Polizei arbeitet, wird endlich von einem Kollegen abgeloest. Der nimmt meine Anzeige auf. Endlich.

17.00: Ich bin total ausgelaugt, wie ich aus der Polizeistation purzle. Mental. Wo ist meine Tasche? Ich will mein Ich zurueck.

17.25: Als Dan von der Arbeit kommt, bin ich von der "ich-will-toeten-Phase" in die "okay-du-kannst-es-nicht-aendern-und-ich-lass-mir-die-Stimmung-nicht-vermiesen". Dafuer wechselt Dan in einen mentalen Amoklauf. "Wie kannst du da denn so ruhig bleiben?" - "Ich glaub, ich hab's einfach akzeptiert." Er nicht, er sucht das ganze Hostel ab und gelobt ein Blutbad fuer den Fall, dass er die Typen in die Hand kriegt.

18.15: Ich hab schon drei Glaeser Wein auf nuechternen Magen intus, als ich ein R-Gespraech nach Hause taetige. "Nur kurz, Kinners, ich bin total ausgeraubt. Ich hab noch nicht mal 20 Cent." Und irgendwie auch keinen blassen Schimmer, wie ich denn ohne Ausweispapiere an Geld aus einer Internationalen Geldanweisung kommen soll.

19.05: Zu diesem Zweck versuche ich mit geborgter Telefonkarte und Kleingeld meine Beraterin der Deutschen Bank in Hamburg persoenlich anzurufen. Und als ich gerade den Besetzton hoere, kreischt das Maedel von der Rezeption: "You're the luckiest girl alive!"

19.06:Tasche wieder da. Pass, Digicam, Geldbeutel. Alles drin. Naja, bis auf das Bargeld. Und den schicken Qantas Executive Frequent Flyer Anhaenger.

Was ist passiert? Ein Typ stuermt in die Rezeption, knallt die Tasche auf die Theke und haut ab. Kommentarlos. Er kam der Rezeptionistin bekannt vor - aber nur vage. Und von dem schwedischen Maedel erfahren wir: ihre "Freunde" warens, haben mir die Tasche quasi zwischen den Fuessen weg gestohlen - und haben kalte Fuesse bekommen, als die Schwedin ihnen erzaehlt hatte, in welch misslicher Lage ich mich befinde. Klar, das Bargeld ist weg - und viel billigen Weisswein spaeter merke ich: alle Bilder auf der Digicam sind geloescht, die Software auf Englisch umgestellt. Muffensaussen? Sollte die verkauft werden?

Und jetzt befinde ich mich in einem moralischen Dilemma. Natuerlich bin ich froh, dass alles wieder da ist. Und irgendwie doch ganz glimpflich ausgegangen ist. Und vermutlich haette mich alles mehr als hundert Dollar gekostet, alles ersetzen, Geld neu anweisen zu lassen und so weiter und so fort.

Und trotzdem - soll ich jemandem auch noch dankbar sein, dass er mich ausgeraubt hat?

liljan98 - 19. Jan, 22:37

Ach du meine Güte!

Das ist weniger ein Krimi als eine Alptraum Geschichte. HILFE! Jetzt im Nachhinein kannst du das sicher schon etwas gelassener und lustiger betrachten (wenn man 100 geklaute Dollar lustig finden kann), aber dass du in diesen Stunden GANZ andere Phasen durchlebt hast.
Allerdings ist es doch schon mal gut zu wissen, dass auf deinen Dan im Notfall Verlaß ist... von wegen den Typ in die Finger kriegen und so :-)

Ich wünsche dir ein paar schöne ruhige entspannte letzte Tage in Australien!

konsulat - 20. Jan, 10:54

...

Alptraum schon - aber nachdem zumindest die Karte gesperrt war, war ich schon wesentlich ruhiger (und Dan einigermassen beeindruckt!). Nur halt irgendwie gaaanz unangenehm, wenn dein Ich weg ist und du in zehn Tagen nach Hausen fliegen sollst... Macht jetzt aber ne lustige Geschichte her!
graefin - 22. Jan, 16:14

Puh!

Das muß wirklich der absolute Alptraum gewesen sein so wie sich das liest. Ich weiß nicht ob ich es geschafft hätte, soviel Energie aufzuwenden und die ganzen Leute anzurufen. Aber es mußte ja sein.

Und nein: du bist dem Typen nicht dankbar! Du hättest ihn für diese Tat eine reinhauen sollen die Meinung geigen sollen.

Von mir auch noch ein paar schöne letzte Tage! UND: Wir bekommen die nächste Woche die Russlandkälte - also tanke Sonne!
160typo (Gast) - 20. Jan, 16:35

...

ich bin zwar weder dr. dr. rainer erlinger noch axel hacke [zum glück] aus dem sueddeutsche magazin, die moralische frage kann ich somit nicht beantworten.

ABER....hey, daraus lernt man doch, oder?
nicht alle wichtigen dokumente an einem ort aufbewaren.
und evtl. irdendwo mal kopien deponieren [werden natürlich nicht anerkannt, kann aber zumindest bei nem ticket sehr hilfreich sein].

anyway, you´re lucky! that´s the whole point.
good luck

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